Felizitas Ambauen, wozu brauchen wir das Bauchgefühl überhaupt?

Das Bauchgefühl ist überlebenswichtig, denn es lässt uns in Gefahrensituationen blitzschnell entscheiden. Wir erleben es, wenn wir innehalten, weil sich ein Vorhaben nicht gut anfühlt. Genauso wenn wir etwas trotz Risiken wagen, weil wir es als richtig empfinden. Ohne Intuition müssten wir unser Handeln stets durchdenken und wären mit der Komplexität der Welt überfordert.

Ohne Intuition müssten wir unser Handeln stets durchdenken und wären mit der Komplexität der Welt überfordert.

Wir sollten also oft auf unsere Intuition hören?

Ganz so einfach ist es nicht. Das Bauchgefühl kann tückisch sein und mir ein Verhalten nahelegen, das mir nicht guttut. Vielleicht habe ich einen Glaubenssatz verinnerlicht wie «Ich darf nie Schwäche zeigen». Dann sagt mein Bauchgefühl, ich soll arbeiten gehen, obwohl ich womöglich krank bin und Erholung bräuchte.

Woher kommen diese Glaubenssätze?

Aus früheren Erfahrungen, die uns geprägt haben, meistens in der Kindheit. Das kann die Erziehung der Eltern sein, aber auch ein Hund, der mich als Kind gebissen hat. Dann hält mich das Bauchgefühl jahrzehntelang von Hunden fern und verhindert, dass ich sogenannte korrektive Erfahrungen mache – also in diesem Fall positive Begegnungen mit Hunden.

Gibt es also gutes und schlechtes Bauchgefühl?

Es lohnt sich zumindest, hinzuhören, wer da gerade spricht. Ist es das reflektierte Erwachsenen-Ich oder eben das Kindheits-Ich, das auf Glaubenssätzen und negativen Erfahrungen basiert? Ich denke, wir kommen mit einer zuverlässigen Intuition zur Welt. Aufgrund unserer Erziehung und Erfahrungen verlernen wir ein Stück weit, auf sie zu vertrauen.

Lassen wir uns im Zweifel also lieber von bewussten Überlegungen leiten?

Die sind eben auch nicht immer frei von Glaubenssätzen. Warnt uns die Intuition vor einer Person, lassen wir uns nach einigem Überlegen manchmal trotzdem auf sie ein. Warum? Weil wir zum Schluss gekommen sind, dass es die Höflichkeit gebietet. Im Kopf sprechen da oft Glaubenssätze wie: «Du bist nicht so wichtig. Du kannst dir nicht einfach aussuchen, mit wem du zu tun hast.» In diesem Fall hätte uns vielleicht der Bauch den besseren Rat gegeben.

Wie finde ich denn heraus, welches Ich wann spricht?

Mit der sogenannten Schema-Arbeit, meinem Schwerpunktgebiet als Psychotherapeutin. Dafür muss man nicht unbedingt zur Therapie gehen – aber man darf natürlich. (lacht) Übrigens auch so ein Glaubenssatz: «Man ist schwach, wenn man Therapie braucht.» Stimmt natürlich nicht.

Welche Möglichkeiten gibt es neben der Therapie?

Man kann Elemente der Schema-Arbeit in Workshops erarbeiten. Wer lieber für sich mehr darüber lernt: In unserem Podcast «Beziehungskosmos» beschäftigen wir uns ausführlich mit dieser Methode.

Lic. phil. Felizitas Ambauen ist Psychotherapeutin FSP und eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin. Sie führt eine Praxis in Nidwalden, bietet Paar-Workshops an und produziert zusammen mit der Journalistin Sabine Meyer den erfolgreichen Podcast Beziehungskosmos.

So trainieren Sie Ihre Intuition

Mit diesen Tipps aus der Schema-Arbeit (s. Interview) lernen Sie Ihr Bauchgefühl besser kennen und einschätzen.

  1. Zeit investieren

    Nehmen Sie sich ab und zu Zeit, Ihr Bauchgefühl bewusst wahrzunehmen und darüber nachzudenken. Haben Sie bereits einen Verdacht, wer da spricht? Das Erwachsenen-Ich oder sogenannte autoritäre Stimmen von früher?

  2. Glaubenssätze identifizieren

    Schreiben Sie auf, welche Glaubenssätze Sie vermutlich prägen. Was würden Ihre Eltern zu einem bestimmten Verhalten sagen? Welche Regeln galten in Ihrer Familie? Konzentrieren Sie sich vor allem auf ungesunde Glaubenssätze. Ein Beispiel wäre: «Du musst so sein, wie die anderen es von dir erwarten, um geliebt zu werden.»

  3. Negative Erfahrungen suchen

     Welche emotionalen Erfahrungen aus der Vergangenheit könnten Ihnen dazwischenfunken? Wurden Sie zum Beispiel einmal in einer schwierigen Situation verlassen und vermeiden nun ähnliche Situationen, um die Gefühle nicht noch einmal zu durchleben?

  4. Ein Unfallprotokoll verfassen

    Hat Ihr Bauchgefühl Sie gerade fehlgeleitet? Nutzen Sie diese Lernchance. Setzen Sie sich hin, denken Sie das Erlebte noch einmal durch und überlegen Sie, welche inneren Stimmen, Erfahrungen und Glaubenssätze zum Entscheid geführt haben.

  5. Altlasten verbannen

    Mit den Erkenntnissen aus den ersten vier Schritten werden Sie immer besser erkennen, in welchen Situationen die tückischen autoritären Stimmen aus der Vergangenheit reden und ein irreführendes Bauchgefühl auslösen. Sie können dann entscheiden, nicht mehr automatisch darauf zu reagieren. Mit der Zeit übernimmt immer mehr das reflektierte Erwachsenen-Ich die Kontrolle über ihre Intuition.

Beziehungskosmos

In ihrem Podcast reden Felizitas Ambauen und die Journalistin Sabine Meyer über die Psychologie von Beziehungen und anderen Alltagsherausforderungen. Mit Beispielen aus dem Praxisalltag und Tipps zum selber Umsetzen.

Jetzt Podcast anhören

Hören Sie sich jetzt die Folge 14 an. Diese Folge beschäftigt sich ausführlich mit unserem Bauchgefühl.