Felizitas Ambauen
Die Psychotherapeutin Felizitas Ambauen führt eine Praxis in Nidwalden und bietet Workshops an. Im Podcast «Beziehungskosmos» spricht sie mit der Journalistin Sabine Meyer über Beziehungen und Alltagsherausforderungen. Mit ihrem neuen Buch «Beziehungskosmos — Eine Anleitung zur Selbsterkenntnis» ist das Duo mit Live-Events in der Schweiz unterwegs.
Felizitas Ambauen, was ist dran, am Bild der konfliktreichen Familienweihnachtsfeier?
Weinachten hat das Potenzial, vergangene Geschichten aufflammen zu lassen. Da werden alte Muster reaktiviert und gerade, wenn man sich davon emanzipiert geglaubt hatte, kommt es einem vor, als sei man wieder in der früheren Rolle gefangen. In Folge 8 unseres Podcasts reden Sabine Meyer und ich über die Hintergründe: Wie uns Rollenvorbilder aus unserer Kindheit ein ganzes Leben lang prägen.
Das Gegenteil ist übrigens ebenfalls möglich: Man merkt an Weihnachten, wie sehr man sich verändert hat und fühlt sich nicht mehr zur Familie zugehörig. Auch das löst unangenehme Gefühle aus.
Dabei nennen wir Weihnachten doch «das Fest der Liebe».
Ob das hilft? Dieser Anspruch kann uns auch unter Druck setzen. Alles soll schön sein – man verstellt sich «dem Frieden zuliebe».
Das kostet Energie. Die Leute spielen etwas, was sie nicht sind. Sie streifen den lustigen Rentierpulli über, sitzen auf den Mund und lächeln, obwohl sie innerlich genervt sind.
Die Leute spielen etwas, was sie nicht sind. Sie streifen den lustigen Rentierpulli über, sitzen auf den Mund und lächeln, obwohl sie innerlich genervt sind.
Lohnt es sich wenigstens, gute Miene zum bösen Weihnachtsspiel zu machen?
Meistens nicht. Man überlegt sich besser, wie man etwas ändern kann. Da ist die Energie besser investiert.
Ich will also etwas ändern. Wie gehe ich vor?
Vor dem Handeln muss man die Situation begreifen. Am besten schreibt man das für sich auf: Wie sehe ich der Familienfeier entgegen? Wovor fürchte ich mich? Was ist der Worst Case – wenn sich die Katastrophe voll entfaltet. Was könnte dann passieren? Was danach? Wie schlimm wäre das?
Dann widme ich mich der Idealvorstellung: Was müsste anders sein? Wie sollten sich die involvierten Personen verhalten? Das dürfen durchaus unrealistische Szenarien sein: Der Vater sagt nichts, die Schwester kommt gar nicht und Onkel Kurt hat seine politische Einstellung über Nacht geändert.
Was passiert dabei?
Durch diese Gedankenspiele wird klarer, was einen wirklich stört und was man ändern möchte. Man kommt in den Veränderungsmodus.
Was ist der nächste Schritt?
Ich überlege mir, wie viel Einfluss ich auf die beiden Szenarien habe – auf die Katastrophe und auf die Idealvorstellung. Was ist mein Spielraum? Zum Beispiel kann ich an die Familienfeier gehen oder auch nicht. Was sind die Konsequenzen, wenn ich nicht gehe? Sind die für mich schlimm? Welche Mittelwege gibt es: Nur kurz gehen? Später kommen? Am Tisch neben den richtigen Leuten sitzen?
Der Familien-Weihnachtsfeier fernbleiben – für viele ist das gar keine Option. Was sollen denn die anderen denken?
Es ist aber eine Option. Wir sind nicht verpflichtet, alte Traditionen weiterzuführen! Ich möchte das deutlich sagen: Jede und jeder hat das Recht, nicht an Familienfeiern teilzunehmen.
Wir sind nicht verpflichtet, alte Traditionen weiterzuführen! Ich möchte das deutlich sagen: Jede und jeder hat das Recht, nicht an Familienfeiern teilzunehmen.
Man wird dadurch kein schlechter Mensch. Aber natürlich muss man bereit sein, die Reaktion der Angehörigen auszuhalten.
Sollte man mit der Familie über die erwarteten Konflikte reden?
Im Idealfall ja. Wer seine Befürchtungen nicht mitteilt, kann von den anderen keine Änderung erwarten. Manchmal kommt im Gespräch heraus, dass weitere Personen ähnliche Vorbehalte haben und sich bisher nicht trauten, etwas zu sagen. Zu zweit, oder zu dritt lässt sich dann einfacher etwas ändern.
Wichtig ist: Wer das Gespräch mit der Familie sucht, sollte sich vorher genau überlegen, wie denn das Wunschszenario aussieht. Wenn jemand fragt, will man ja nicht verlegen dastehen und sagen: «Eh, ich weiss nicht, anders halt!»
Oft sind Familientreffen auch schwierig für Partnerpersonen. Was können Partner tun, wenn sie sich in der Schwiegerfamilie nicht wohl fühlen?
Wenn man sich nicht wohlfühlt, dann darf man sich abgrenzen. Konflikte mit der Schwiegerfamilie kommen in der Therapie häufig vor. Oft bringen sie eine Spannung in die eigene Beziehung. Am schwierigsten ist es, wenn die Partnerperson den Eltern gegenüber sehr loyal ist, also in der Kind-Rolle feststeckt. Wir thematisieren das in unserem Podcast ausführlich in Folge 37.
Wie kann man Konflikte mit der Schwiegerfamilie lösen?
Idealerweise macht sich das Paar klar, wie es mit der Situation umgehen möchte und kommuniziert geschlossen gegenüber der Familie. Zum Beispiel, dass die Schwiegertochter zwar an Heiligabend auch dabei ist, am Weihnachtstag und am Stephanstag aber nicht nochmal zum Essen kommt.
Da ziehen die traditionsbewussten Schwiegereltern die Augenbrauen hoch …
Das kann passieren, in der Tat! Grenzt man sich ab, entstehen oft negative Gefühle. Das hat meist mit der eigenen Prägungsgeschichte zu tun. Damit, wie in der Herkunftsfamilie darauf reagiert wurde, wenn ich meine Bedürfnisse klar äusserte. Diese Gefühle auszuhalten, kann manchmal schwierig sein, aber es gehört zu erwachsenem Handeln dazu.
Dann ist der Schwiegervater halt eingeschnappt und vielleicht hat man deswegen ein schlechtes Gewissen. Das zu ertragen ist wichtig und man kann es lernen. Sonst wird man immer in den alten Mustern gefangen bleiben.
Auch Geschenke bieten Konfliktpotenzial. Wie lautet Ihr Rat?
Im Zweifel aussteigen aus dem Geschenke-Karussell – einseitig oder als gemeinsamer Beschluss. Wenn ich regelmässig nicht weiss, was ich einer Person schenken soll und wenn ich ihre Geschenke auch nicht mag, dann stehen wir uns vielleicht einfach nicht so nahe, dass wir uns etwas schenken müssen.
Manche schenken Geld, um nichts falsch zu machen.
Ich erlebte einmal, wie sich in einer Familie alle nur noch Geld schenkten, weil niemand wusste, was den anderen gefällt. Nach der Geschenkezeremonie stand jede einzelne Person mit gleich viel Geld da wie vorher. Irgendwann haben sie die Schenkerei dann endlich abgeschafft.
Dann kommt der nächste Klassiker: Die Familie vereinbart, sich nichts zu schenken. Doch Sie erhalten trotz Abmachung «eine Kleinigkeit». Wie reagieren Sie?
Ich sage danke. Punkt. Wenn es jemand nicht aushält, sich an die Abmachung zu halten, dann bin ich dafür nicht verantwortlich. Da muss ich auch kein schlechtes Gewissen haben. Das ist in diesem Fall das Thema der Person, die sich nicht an die abgemachten Regeln hielt.
Wenn es einen trotzdem belastet, soll man es dann ansprechen?
Ja, aber nicht sofort und vor allen. Lieber später unter vier Augen: «Du, ich meine das wirklich so. ich schenke nichts und ich möchte auch nichts.» Ob es dann klappt? Das liegt nicht in meiner Verantwortung. Ich kann mich nur abgrenzen, nicht das Verhalten der anderen Person beeinflussen.
Jetzt haben wir viel über Konflikte und schwierige Situationen geredet. Mit welchem positiven Rat könnten wir das Interview abschliessen?
Mein Tipp: Schreiben Sie sich alles auf, was Sie an Weihnachten mögen. Was sind Ihre Highlights? Was ist trotz allem toll an der anstrengenden Familienfeier? Das Dessert, der Baum oder wie Onkel Kurt nach fünf Calvados schief singt?
So üben Sie, in einer nicht so tollen Situation schöne Momente zu sehen. Eine offene Haltung kann von sich aus schon einiges verbessern. Merry Christmas!