Jetzt die Tipps als Podcast-Folge anhören.
Berührungen bauen Stress ab, und Umarmungen schütten Glückshormone aus. Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen Nähe. «Der intensive Kontakt mit anderen Menschen ermöglicht uns Rückmeldungen zu unserem Sozialverhalten», erklärt Anna Dorothea Keller-Brand, Psychotherapeutin aus Biel mit eigener Praxis.
Das beginnt schon bei Säuglingen, die zum Überleben nicht nur Nahrung, sondern auch körperlich-seelische Nähe benötigen. Ähnlich sieht es bei Erwachsenen aus. Die Frage nach der idealen Menge beantwortet Keller-Brand nicht mit Minuten, Zentimetern oder einer Anzahl Streicheleinheiten. Zu unterschiedlich seien die Bedürfnisse, abhängig von Alter, Biografie und Persönlichkeit.
Tatsächlich gibt es Menschen, die eine so grosse Sehnsucht nach Verbundenheit haben, dass sie immer wieder in Abhängigkeitsbeziehungen zu nahestehenden Personen landen. Umgekehrt gibt es jene, die keine engeren Kontakte zulassen. Prägend für ein gesundes und natürliches Verhältnis zu anderen Menschen sind die ersten Lebensjahre: «Wer als Kind zuverlässige Nähe durch Bezugspersonen erlebt, entwickelt ein Urvertrauen gegenüber Mitmenschen.» Das ist gemäss Keller-Brand eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man als Erwachsener auch längere Phasen des Alleinseins überstehen kann.
Technologie ist kein Ersatz
Nun könnte man meinen, dass die technologischen Möglichkeiten den persönlichen Kontakt gut ersezten. Immerhin tauschen sich manche Menschen ständig über Social Media, E-Mail, Chat oder Videokonferenz mit Freunden und Bekannten aus. «Auf digitalen Plattformen sind wir mit der ganzen Welt vernetzt», sagt Keller-Brand. «Gleichzeitig werden wir immer einsamer, denn online erleben wir unsere Mitmenschen nicht mit allen Sinnen.» Es besteht somit die Gefahr, dass der digitale Austausch (zu) oberflächlich ist. Wenn uns etwas nicht passt, können wir einfach wegklicken, statt uns der Situation zu stellen.
Das Smartphone ist also keinesfalls ein angemessener Ersatz für Körperkontakt. Der Mensch benötigt wirkliche Nähe. Voraussetzung für vertraute Beziehungen und Kontakte zu anderen ist gemäss der Psychotherapeutin eine gesunde Nähe zu sich selbst: «Suchen Sie nach Ihrem tieferen Wesenskern und vergessen Sie Ihre Sorge, wie Sie auf andere wirken. Hören Sie stattdessen auf die innere Stimme und machen Sie, was Ihnen wirklich guttut.»
Denn nur wer sich selbst gut kennt und akzeptiert, kann auch im Umgang mit anderen Menschen authentisch sein. Und Glaubwürdigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau von echter, gesunder Nähe zu anderen. Dieser letzte Schritt erfordert jedoch Mut. Deshalb hat die Psychotherapeutin ein paar praktische Tipps für Sie:
-
Die Freizeit aktiv gestalten
Mit anderen den Feierabend geniessen, zusammen essen, sich zu Spiel oder Sport treffen oder die Natur erleben: Jede gemeinsame Aktivität ist besser, als alleine einen Abend vor dem Fernseher oder im Internet zu verbringen.
-
Rituale einführen
Damit das Feierabendbier mit Kollegen oder der Sonntagsbrunch in der Familie keine Ausnahmeveranstaltung wird, sollten Sie eine gewisse Regelmässigkeit schaffen: zum Beispiel einmal im Monat.
-
Abschiede akzeptieren
Wer offen auf andere zugeht, kann auch mal enttäuscht oder sogar verlassen werden. Gehen Sie dieses Risiko ein. In jeder gewagten Nähe ist ein möglicher Abschied inbegriffen. Auch der gehört zum Leben und zu unserer Entwicklung.
-
Alleinsein üben
Wer alleinstehend oder ohne Familie ist, hat es schwieriger, Nähe zu leben. Üben Sie daher ganz bewusst, sich allein zu fühlen und dabei ganz sich selbst zu sein. Das geht zum Beispiel in einem Schaumbad. Die aktive Beziehungspflege können Sie damit aber nicht ersetzen.
-
Für andere da sein
Als Gesellschaft sollten wir uns kreativ um diejenigen kümmern, die selber nicht mehr die Kraft dazu haben. Schon kleine Aufmerksamkeiten bereiten Freude und schaffen ein Gefühl von Nähe: ein Telefonanruf, ein Kaffeeschwatz oder das Erledigen von Einkäufen für andere Menschen.
Wir unterstützen Ihre Aktivitäten
Lernen Sie Menschen mit gleichen Interessen kennen: zum Beispiel im Fitnessstudio, beim Yoga oder beim Tanzen. An Aktivitäten, die Ihrer Gesundheit dienen, beteiligen wir uns mit bis zu 600 Franken im Jahr.
Nähe und Distanz: Das rät die Expertin
Warum hat jeder Mensch ein anderes Nähe-Bedürfnis? Was hat das mit unserer Kindheit zu tun und wie können wir Beziehungen stärken?