Der rauschende Wind in den Baumkronen, ein plätschernder Bach, Vogelgezwitscher: Naturgeräusche lassen uns wohlig seufzen und beruhigen augenblicklich. Was passiert dabei im Gehirn? Warum wirken natürliche Klänge so entspannend? Wir haben mit dem Neuropsychologen Prof. Dr. Lutz Jäncke gesprochen und Erstaunliches über Naturklänge und unsere Reaktionen darauf erfahren. Plus: Tipps, wie Sie entspannende Geräusche in Ihren Alltag integrieren können. 

Der Neurowissenschaftler und Psychologe gehört zu den angesehensten Hirnforschern der Gegenwart. Er hat uns bereits Tipps und Tricks für echte Veränderungen im Leben gegeben, erklärt, wie das Gehirn digitale Reize verarbeitet, und aufgezeigt, wie wir aus einem Winterblues  herauskommen. Einen Grossteil seiner Karriere hat er der Musikforschung und der auditorischen Wahrnehmung – wie das Gehirn akustische Signale verarbeitet – gewidmet.

Reaktionen auf Naturgeräusche sind evolutionär geprägt 

Warum finden wir Meeresrauschen angenehm, aber das plötzliche Aufheulen des Windes unheimlich? «Unsere Reaktionen auf akustische Reize folgen einem evolutionär geprägten, genetisch festgelegten Muster», erklärt Lutz Jäncke. Die Naturgeräusche führen zu sogenannten vorbereiteten Reaktionen, die dem Menschen früher das Überleben gesichert haben. Bei abrupt einsetzenden, chaotischen und lauten Geräuschen mit dissonanten Anteilen reagieren wir auch heute noch mit Angst oder Flucht. «Wasserplätschern oder Blätterrascheln sind in der Regel stimmig-ruhige, konsonante Geräusche, die unserem Gehirn die nähere Zukunft sicher und vorhersehbar erscheinen lassen», weiss der Experte. 

Natürliche Klänge beruhigen, entspannen, regenerieren 

Daher empfinden wir Naturgeräusche als ausserordentlich angenehm. Sie beruhigen unsere Psyche, sagt der Wissenschaftler: «Eine Naturgeräuschkulisse befreit unser Gehirn von komplizierten Berechnungen und Vorhersagen, mit denen es sonst beansprucht ist. In einer Art Mind Wandering können wir unseren Gedanken freien Lauf lassen. Wir entspannen uns, die Herzrate und der Blutdruck sinken, die Ausschüttung des Stresshormones Cortisol wird vermindert.» 

«Eine Naturgeräuschkulisse befreit unser Gehirn von komplizierten Berechnungen und Vorhersagen. Wir entspannen uns, die Herzrate und der Blutdruck sinken, die Ausschüttung des Stresshormones Cortisol wird vermindert.»

Studie bestätigt positive Effekte von Naturgeräuschen

Dies bestätigt eine US-amerikanische Studie, die 2021 in den «Proceedings» der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS) veröffentlicht wurde. Das Ergebnis der Übersichtsarbeit über 36 Studien zum gesundheitlichen Nutzen von Naturgeräuschen zeigt, dass Menschen in einer natürlichen Geräuschkulisse weniger Stress, Ärger und Schmerzen erlebten und sich ihre Stimmung und die kognitive Leistung verbesserten. Zudem förderten sie positive Emotionen und stärkten insgesamt die Gesundheit. 

Entspannungsmusik aus dem Kopfhörer oder in natura?

Beides hat Vor- und Nachteile. Mit Kopfhörern sind wir abgeschirmt von störenden Reizen und können uns auf die glucksenden, rauschenden oder zwitschernden Geräusche konzentrieren. «Unser Gehirn ist ein Simulationsorgan. Wir können uns gut in solche Szenarien hineinversetzen. Wenn man wenig Zeit hat, ist das eine sehr gute Möglichkeit», erklärt Lutz Jäncke. Trotzdem ist für ihn das Live-Erlebnis in der Natur besser als das künstliche Erlebnis. Denn die Reize der natürlichen Umgebung wirken intensiver als eine digitale Aufnahme – allerdings lenken sie uns auch mehr ab: «Für ein tiefes, rein durch Akustik hervorgerufenes Entspannungsgefühl muss man eine Art meditativen Zugang zur Natur finden, um die zusätzlichen Reize auszuschalten. Wem das nicht gelingt, der sollte es mit Kopfhörern auf der Couch probieren», rät der Experte. 

«Der Mensch ist als Tier in der Evolution perfektioniert worden, um in der Natur gut zurecht zu kommen – und nicht in der digitalen Welt.»

Vom Wecker mit Naturgeräuschen bis zur Zwitscherbox 

Im Wartezimmer klingt Meeresrauschen, am Bahnhof zwitschern Vogelstimmen, der Wecker kombiniert Regenwaldgeräusche mit Lichteffekten: Künstliche Naturgeräusche aus Lautsprechern sind beliebt. Aber bringt das auch etwas, Lutz Jäncke? «Ja, wenn sich das Geräusch hörbar vor dem Geräuschhintergrund heraushebt, kann es unbewusst angenehme Reaktionen und eine kurze Entspannung auslösen. Geschäfte, die solche Geräusche gezielt einsetzen, verkaufen übrigens auch mehr.»

Individuelle Erfahrungen prägen Vorlieben für Geräusche 

Die vorherrschenden Naturgeräusche unserer Kindheit lieben wir ein Leben lang, weiss der Neuropsychologe: «Bei Menschen, die in speziellen Gegenden aufgewachsen sind, zum Beispiel an der Nordsee oder auf einer Alp, brennen sich Geräusche wie Meeresrauschen oder Kuhglockengeläut tief in ihr Gehirn ein. Als Erwachsene werden sie diese Geräusche wieder suchen und anderen Naturgeräuschen vorziehen.» Daher kommt auch die Vorliebe für bestimmte Ferienregionen.

Therapeutischer Einsatz von Naturklängen 

Naturgeräusche oder sanfte Musik werden bei vielen Arten von Entspannungsübungen zur Unterstützung genutzt. Für wen sind sie besonders hilfreich? «Von diesen Entspannungstrainings profitieren alle Patienten, die lernen müssen, ihren Körper zu beruhigen und die Erregung des vegetativen Nervensystems herunterzufahren. Das gilt für alle Varianten von stressbedingten Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzfrequenzprobleme, Angst- und Panikstörungen, Migräne und Kopfschmerzen, die unbehandelt zu einer ganzen Reihe von psychosomatischen Problemen führen können.»

Vom Gegenteil: Ständiger Lärm kann krank machen 

Wer mitten in der Stadt wohnt und anhaltendem Krach ausgesetzt ist, hat ein erhöhtes Gesundheitsrisiko. «Wir werden in der Stadt mit zu vielen Reizen pro Zeiteinheit überflutet. Was dazu führt, dass wir konstant Orientierungsreaktionen machen. Unser Gehirn lenkt seine Aufmerksamkeit ständig irgendwo anders hin – automatisch, das ist ein Reflex. Wir werden permanent abgelenkt. Das überfordert uns, macht uns müde und vielleicht sogar krank», sagt der Neurowissenschaftler. Besonders Stadtmenschen sollten sich regelmässige Naturerlebnisse gönnen.

7 Tipps zum Entspannen mit Naturklängen

  1. Achtsamkeit in der Natur zelebrieren

    Jeden Atemzug spüren, verschiedene Vogelstimmen heraushören, einzelne Blätter betrachten: Geniessen Sie achtsam mit allen Sinnen die Natur. Ihr Gehirn wird das Erlebnis bewusster und intensiver als wohltuend im Gedächtnis behalten. 

  2. Das bedeutet: ohne Kopfhörer raus in die Natur

    Verzichten Sie auf den neusten Podcast oder angesagtesten Sound. Gönnen Sie Ihrem Gehirn Ruhe und die Beschäftigung mit sich selbst. Lassen Sie Ihren Gedanken freien Lauf. Sollten Sie joggen, werden Sie ohnehin genügend Schnaufgeräusche zu verarbeiten haben. 

  3. Entspannungsübungen sind hilfreich

    Gezielte Entspannungsübungen wie Naturklänge-Meditationen, Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung beruhigen Körper und Geist. Es gibt unzählige Downloads und Apps. Probieren Sie aus, was Sie am liebsten mögen. 

  4. Regelmässige Entspannung bringt mehr

    Besonders erholsam und stressreduzierend sind Entspannungsübungen, wenn Sie sie regelmässig machen. Zum Beispiel viermal in der Woche, davon zwei kürzere Einheiten unter der Woche auf dem Sofa oder der Yogamatte und am Wochenende längere Genusseinheiten draussen im Grünen. 

  5. Individuelle Lieblingsgeräusche selbst aufnehmen

    Forschen Sie in Ihren Kindheitserinnerungen nach Naturgeräuschen, die Sie gern hatten. Suchen Sie diese in der Natur und nehmen Sie Ihre persönlichen Lieblingsgeräusche mit dem Smartphone auf – für kleine Entspannungsmomente zwischendurch. 

  6. Lieber Musik als Geräusche

    Wenn Ihnen Geräusche zu wenig sind, hören Sie zum Entspannen Musik, die natürlichen Klängen nah ist. Lutz Jäncke empfiehlt den japanischen Musiker Kitaro oder die entspannenden Klänge des Schweizer Harfenisten Andreas Vollenweider. 

  7. Lutz Jänckes persönlicher Tipp: Golf spielen

    Und zwar nicht wegen der Sportart, sondern wegen der Golfplätze: «Das sind fantastisch angelegte, wunderschön gepflegte Parklandschaften, in denen absolute Ruhe herrscht und ich mich wunderbar entspannen kann. Golf spiele ich da auch noch ein bisschen, aber eigentlich finde ich das furchtbar.»

Spotify KPT Naturklänge-Playlist

Ob Naturgeräusche oder Musik – den wirksamsten Effekt aufs Wohlbefinden haben offenbar jene Klänge, die wir am liebsten mögen, die uns emotional berühren und Hühnerhaut bescheren. Vielleicht finden Sie Ihr Lieblingsnaturgeräusch in unserer Playlist?

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