Wieso liebt unser Gehirn Routinen?
Weil wir es gerne bequem haben. Alles, was wir gewohnheitsmässig tun, läuft unbewusst ab; dafür braucht unser Gehirn keine Energie. Das ist praktisch: Wir wären sonst mit der Menge an Entscheidungen überfordert. So wissen wir, was wir frühstücken, sprechen unsere Muttersprache im Schlaf und kennen die kulturellen Regeln unserer Gesellschaft. All das hat sich als Muster tief in unser Gedächtnissystem eingegraben – und zwar vor allen Dingen in den Basalganglien. Diese alten Hirnstrukturen steuern mehr als die Hälfte unserer täglichen Handlungen.
Etwas Neues wollen wir nicht ausprobieren?
Doch! Kleine Abweichungen vom Gewohnten, Anreize durch Kunst oder den wohligen Schauer bei einem Thriller, das liebt unser Gehirn. Solange sich alles in einem sicheren Rahmen abspielt, kommen wir in einen uns angenehmen Erregungszustand. Hormone wie Dopamin oder Noradrenalin werden ausgeschüttet, die Hirngefässe weiten sich, Blutdruck und Herzfrequenz sinken.
Welche Hirnregion wird aktiv, wenn wir etwas bewusst verändern?
Dann schaltet sich das Stirnhirn oberhalb der Augen ein, das etwa ein Drittel des Hirnvolumens ausmacht. In dieser jüngeren Hirnregion sind das Bewusstsein und das rationale Denken verankert. Wenn Sie zum Beispiel beginnen zu meditieren, und Ihr Geist will sich nicht beruhigen, dann setzt das Stirnhirn als Kontrollorgan diesen Impulsen immer wieder etwas entgegen – das funkelt dann wie ein Weihnachtsbaum.
Wann schaffe ich es, dass das Stirnhirn gegen den inneren Schweinehund gewinnt?
Das kann mühsam sein. Nehmen wir an, Sie setzen sich nach der Arbeit immer erst mit einem Snack vor den Fernseher. Stattdessen wollen Sie jetzt spazieren gehen. Ihr Kleinhirn möchte in der Routine verweilen: Alles soll bleiben wie immer. Der Blick auf die Fernbedienung und die Chipstüte sendet dann auch noch einen Auslösereiz …
Wie kann ich widerstehen?
Um uns zu verändern, müssen wir uns erst einmal besser verstehen. Wir müssen wissen, wie wir funktionieren. Uns fragen: Was behindert mich, wo stehe ich mir selbst im Weg? Ich muss mir klar machen, was mein eigentliches Ziel ist. Bei der Etablierung neuer Rituale können wir dann verschiedene Phasen definieren: vom Auslösereiz über das Verlangen und die Reaktion bis hin zur Belohnung. Diese Belohnung muss mir vor Augen stehen. Zum Beispiel: Ich gehe regelmässig laufen, werde fitter – und kann beim nächsten Firmenausflug unbeschwert Schritt halten.
Um uns zu verändern, müssen wir uns erst einmal besser verstehen. Wir müssen wissen, wie wir funktionieren. Uns fragen: Was behindert mich, wo stehe ich mir selbst im Weg? Ich muss mir klar machen, was mein eigentliches Ziel ist.
Wie ersetze ich eine – schädliche – Gewohnheit durch eine bessere?
Stichwort Auslösereiz: Ich könnte in diesem Fall meine Outdoorjacke sichtbar in den Flur hängen und die Schuhe dazustellen. Oder ich schalte Auslösereize aus: Wenn ich abnehmen will, lasse ichkeine Süssigkeiten herumliegen, wenn ich mich konzentrieren will, lege ich das Handy weg.
All das erfordert eine gewisse Disziplin.
Aber eben das zeichnet uns Menschen aus und unterscheidet uns von Tieren. Dazu haben wir das stark ausgeprägten Stirnhirn. Wir begreifen, dass wir etwas investieren – und die Belohnung erst später kommt.
Wie wird die Verhaltensänderung zur Routine?
Die Wiederholung macht’s. So dass es für mich – vielleicht nach etwa zwei Monaten des Übens – ganz natürlich wird, nach Feierabend erst eine Runde um den Block zu drehen. Die Routine ist dann wiederum im Unbewussten, im Kleinhirn, verankert.
Ab wann ist man zu alt, um sich Neues anzugewöhnen?
Nie! Auch wenn Veränderungen im Alter schwerer fallen, weil man viele Erfahrungen gesammelt und erfolgreiche Strategien entwickelt hat. Aber: Unser Gehirn bleibt auch im Alter anpassungsfähig. Wir sind zum lebenslangen Lernen verdammt. Wenn wir das nicht tun, kommt es zu anatomischen Veränderungen unter anderem am Stirnhirn. Deshalb: «Use it – or lose it» Das kann man sogar als einen medizinischen Ratschlag auffassen.
Unser Gehirn bleibt auch im Alter anpassungsfähig. Wir sind zum lebenslangen Lernen verdammt.
Und wie gehen wir mit Veränderungen um, die wir nicht beeinflussen können?
Da kann ich nur das berühmte «Love it, leave it or change it» zitieren. Vielleicht können wir aber auch Veränderungen, die uns erst nicht passen – etwa neue Nachbarn, die uns nicht genehm sind, oder Umstrukturierungen in der Firma – Gutes abgewinnen. Uns für neue Haltungen öffnen, Vorurteile oder verinnerlichte Glaubenssätze hinterfragen. Oder mal Freunde und Familie zu Rate ziehen: Vielleicht können wir durch diesen Perspektivenwechsel auch neue Chancen entdecken.
Gewohnheiten ändern in 8 Schritten
Ob wahlloses Snacken oder Grübelzwang: Wir alle haben Verhaltens- oder Denkgewohnheiten, die uns nicht guttun. Veränderungen gehen wir am besten Schritt für Schritt an.
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Innehalten und Stopp sagen
Vielleicht kommt das Signal von aussen. Oder Sie merken selbst, dass Veränderung nottut. Hören Sie in sich hinein: Wie ist meine Situation? Was habe ich für Gewohnheiten? Was schadet mir? Was möchte ich anders machen?
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Das lohnende Ziel definieren
Sie müssen wissen: Was strebe ich an? Was ist mein Nutzen, meine Belohnung, wenn ich eine schädliche gegen eine gute Gewohnheit austausche? Malen Sie sich aus, wie gut es sich anfühlen wird, wenn Sie Ihrem Ziel näherkommen.
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Regeln mit sich selbst abmachen
Formulieren Sie «Wenn-dann-Sätze»: Wenn ich Schokolade essen will, dann rufe ich lieber jemanden an. Wenn ich müde werde, dann mache ich einen Powernap.
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Das Wann und Wo festlegen
Definieren Sie einen Rahmen für die neue Gewohnheit: Jeden Mittwoch und Samstag gehe ich um 18 Uhr im Stadtwald joggen. Damit die Hürde klein ist, legen Sie sich am Morgen die Laufsachen bereit und stellen die Joggingschuhe an die Tür.
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Eine neue mit einer alten Routine verknüpfen
So denken Sie immer daran: Bevor ich mich vor den Fernseher setze und Nachrichten gucke, mache ich gemütlich zehn Minuten Stretching auf der Matte.
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Spass und Geselligkeit einbauen
Keine Lust zu laufen? Versüssen Sie sich die Bewegung mit einem spannenden Hörbuch. Gehen Sie nach dem Yogakurs mit der netten Gruppe einen Tee trinken.
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Andere mit ins Boot holen
Suchen Sie sich Verbündete. Erzählen Sie von Ihren Vorsätzen, jeden Monat zwei Romane zu lesen, das Rauchen aufzugeben oder Fastfood durch Selbstgekochtes zu ersetzen. Vielleicht macht ja jemand mit?
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Nicht zu viel von sich selbst erwarten
Streben Sie beim Yoga nicht gleich einen Kopfstand an. Schwören Sie sich nicht, nie wieder Chips zu essen. Gehen Sie schrittweise vor, feiern Sie kleine Erfolge und setzen Sie sich neue Ziele
Lesetipp:
Prof. Dr. Lutz Jänckes neues Buch
Ist unser Gehirn fähig, sich an die moderne Internetwelt anzupassen? In seinem aktuellen Buch «Von der Steinzeit ins Internet» beschreibt Lutz Jäncke wissenschaftlich fundiert und amüsant zugleich die mögliche Zukunft des Menschen im Zuge der Digitalisierung.
Mehr zu Prof. Dr. Lutz Jäncke und Hirnforschung
Lesen Sie in einem weiteren Interview mit Lutz Jäncke «Chatten, scrollen, swipen: Wie verarbeitet das Gehirn digitale Reize?», wie wir unser impulsgetriebenes Gehirn besser unter Kontrolle bringen – und uns weniger von digitalen Reizen leiten lassen.