
Von Menstruationsbüchern über gefilzte Gebärmütter bis hin zu ihrer Bluse: In Josianne Hosners Atelier in Lotzwil ist die Farbe Rot allgegenwärtig. «Rot ist schön, steht für Kraft – und natürlich für die Menstruation», sagt die ehemalige Buchhändlerin. Heute ist sie Zyklusmentorin – oder wie sie selbst manchmal augenzwinkernd sagt: «Mens-Tante.»
Trotz eines positiven Starts in ihre eigene Menstruation erlebte Josianne, dass die Menstruation bei vielen Frauen «so beliebt sei wie eine Brennnessel». Damit wollte sie sich nicht abfinden «Wir durchlaufen rund 500 Zyklen – zu viel Lebenszeit, um sie nur als Last zu sehen», sagt sie. Nachdem sie selbst mit Stimmungsschwankungen zu kämpfen hatte, begann sie, ihren Zyklus bewusst zu beobachten – und immer besser zu verstehen.
Zykluswissen als Schlüssel zur Selbstfürsorge
Seit 2015 verbreitet Josianne dieses Wissen mit ihrem Ein-Frau-Unternehmen «Quittenduft». In ihren Vorträgen, Workshops und Webinaren geht es um den Alltag und die Kommunikation rund um den Zyklus, nicht aber um medizinische Themen. Sie vergleicht die vier Phasen des Zyklus mit den Jahreszeiten. Dieser bildhaft-praxisorientierte Ansatz kann Frauen helfen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und wo immer möglich besser zu berücksichtigen.
Der Zyklus als Jahreszeitenmodell
Muster erkennen und Energie einteilen
Um die eigenen Bedürfnisse und sich wiederholende Muster zu erkennen, empfiehlt Josianne Hosner ein Zyklusrad anzulegen: eine Art Mens-Tagebuch, in das Frauen Notizen über ihr körperliches und seelisches Befinden, den Schlaf oder Gelüste eintragen.
«Wenn Frauen ihre inneren Jahreszeiten kennen, können sie ihre Energie einteilen», sagt sie. «Extrovertierte Aktivitäten passen in die Zyklusmitte, zum Sommer. Der Herbst hingegen ist eine ‘No-Bullshit-Time’, in der man sich über notwendige Veränderungen klar werden kann.» Und im Winter? «Sich nachmittags mal ins Bett zu legen und von den Kindern bedienen zu lassen, kann Wunder wirken», sagt die dreifache Mutter mit einem Augenzwinkern.
Die 1-Prozent-Regel
Die Zyklusmentorin weiss, dass der Berufsalltag selten Rücksicht nimmt. «Oft höre ich: Das Leben ist kein Ponyhof, ich habe Termine – und die anderen können auf meinen Zyklus keine Rücksicht nehmen. Dann sage ich: Aber wenigstens du kannst es tun.» Zum Beispiel mit der «1-Prozent-Regel». «Frag dich selbst: Was kann meine Situation jetzt um 1 Prozent verbessern?»
Schon Kleinigkeiten – ein ätherisches Öl auftragen, ein Glas Wasser trinken, drei Minuten Pause machen und Musik hören – können helfen, aus einem Tief herauszukommen.
Offene Kommunikation in Beziehungen
Vor allem aber rät Josianne zu offener Kommunikation. So kann der bewusste Umgang mit dem Zyklus nicht nur Frauen helfen, sondern auch Beziehungen entlasten. «Manche Männer hängen sogar das Zyklusrad auf, um im Blick zu haben, wo ihre Partnerin im Zyklus steht.» Die Sprache der Jahreszeiten erspart lange Erklärungen, meint Josianne. «Ein ‘Geht’s auf den Herbst zu?’ klingt doch entspannt und macht den Austausch einfacher – auch für Männer.»
Zyklusrad als Download
Viele Frauen erleben regelmässig ähnliche Symptome wie Launen, Gelüste oder Schmerzen zu bestimmten Zeiten im Monat, ohne es bewusst zu merken. Das Führen eines Zyklusrads hilft dabei, Muster zu erkennen: für mehr Klarheit und Kontrolle über den eigenen Zyklus.
Zyklisch leben: Anregungen und Tipps von Josianne Hosner
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Bewusstsein für den Zyklus entwickeln
Der Zyklus sollte als natürlicher und wertvoller Prozess anerkannt werden, der durch Phasen von Energie, Ruhe und Kreativität führt.
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Regelmässige Reflexion
Es hilft, sich täglich kurz klarzumachen: «In welcher Phase des Zyklus befinde ich mich heute?», um die eigenen Bedürfnisse besser wahrzunehmen und zu verstehen.
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Vorausschauende Planung
Flexible Termine – das Romantik-Wochenende oder das grosse Grillfest – möglichst im Voraus planen, basierend auf dem eigenen Zyklus. Extrovertiertes passt in die Sommerphase.
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Verhalten anpassen
Aktivitäten, auch Ernährung und Bewegung auf die Zyklusphase abstimmen, um die eigenen Energiereserven gut zu nutzen.
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Selbstfürsorge einplanen
In Winterphasen bewusst Ruhepausen einplanen und sich nicht zu viel abverlangen, um die eigenen Grenzen zu wahren. Auch mal das Nein-Sagen trainieren.
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Offen kommunizieren
Wenn die Stimmung – vermeintlich grundlos – im Keller ist oder Sie einfach nur Ruhe brauchen: Sagen Sie es offen, teilen Sie sich mit. Das macht es für alle einfacher.
Phasenweise bewölkt: wenn der Zyklus in ein Tief führt
Jacqueline Grafs Erfahrungen widerspiegeln das, was viele Frauen ab der ersten Menstruation erleben: die stete Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, mit Verhütung, Schmerzen und Launen – und die Suche nach Lösungen.
Schmerzen und Rückzug
«Als junges Mädchen verzog ich mich oft mit Schmerztabletten und einer Wärmflasche ins Bett», erinnert sich die heute 43-Jährige. Lange Zeit vertraute sie auf die Pille, die ihren Zyklus regulierte. Einen Versuch mit der Dreimonatsspritze zur Empfängnisverhütung nach der Geburt ihrer Tochter, die ihre Periode komplett unterdrückte, brach sie ab. «Zuerst dachte ich: Wie praktisch! Aber dann empfand ich es als unnatürlich, keinen Rhythmus zu haben und meine Lebensfreude nahm merklich ab.»
Stimmungsschwankungen im Verlauf des Zyklus
Als die Periode dann – erst eineinhalb Jahre später – wieder einsetzte, brachte sie regelmässige Stimmungsschwankungen und verstärkte Schmerzen zur Zeit des Eisprungs mit sich. «Umstände wie der Lockdown, Veränderungen am Arbeitsplatz, aber auch kleinere alltägliche Herausforderungen wurden für mich immer mehr zur Qual – bis es irgendwann zu viel wurde», erzählt Jacqueline. Nach einem Nervenzusammenbruch suchte sie Hilfe bei einem Psychiater, ging zur Hypnosetherapie und entwickelte mit einer Kinesiologin Bewältigungsstrategien.
Hochsensibel und angespannt
Sie ahnte bereits, dass ihr Zyklus eine Rolle bei dieser depressiven Episode spielte.
«Ich habe gemerkt, dass ich in der Woche vor der Periode immer wieder an den gleichen Punkt komme, wo ich megasensibel und angespannt bin. Ich habe Verlustängste, null Selbstvertrauen und kann mich für wenig begeistern.»
«Manchmal bin ich den Tränen nahe, ohne erklären zu können, was in mir vorgeht. Und natürlich habe ich auch Schuldgefühle, wenn mein Stimmungsbarometer ein Tief anzeigt – ich will ja unsere Tochter und meinen Partner nicht mit runterziehen.»
Wie sieht das ein Mann?
Zum Glück habe ihr Partner Jan Verständnis, sagt sie: «Er ist für mich da und gibt mir das Gefühl, dass wir ein Team sind. Das gibt mir Kraft. Ausserdem weiss er eigentlich immer, wo ich gerade stehe.»
Jan bestätigt: «Es ist klar, dass ich jeweils über die aktuelle Phase im Bilde bin.»
«Auch für mich sind die Tage rund um die Periode schwierig, weil ich als Mann vieles in Bezug auf den weiblichen Zyklus nicht klar nachvollziehen kann.»
«Ich habe aber gelernt, nicht mehr ständig nach Antworten zu suchen, die es nicht gibt, sondern die Situation anzunehmen und möglichst lösungsorientiert zu handeln. Einfach zuhören und da sein, wenn Unterstützung nötig ist, ist ein Teil davon.»
Rücksichtnahme und Reflexion hilft
Jan hält seiner Partnerin den Rücken frei, indem er zum Beispiel allein etwas mit der gemeinsamen Tochter unternimmt. Aber er betont: «Wir sind als Familie zu dritt, und das Leben muss weitergehen. Es hilft uns, dass Jacqueline ihre Situation reflektiert und versteht, dass wir alle betroffen sind, wenn sie ein Tief hat. Die gegenseitige Rücksichtnahme macht vieles leichter, auch wenn mal nicht alles perfekt läuft. Wichtig ist es aber auch, sich in diesen Phasen nicht selbst in Grübeleien zu verlieren oder alles infrage zu stellen.»
Der Hormonspiegel liefert Antworten
Um zu sehen, wo sie in ihrem Zyklus steht, trackt Jacqueline diesen mit der Maya App. Kürzlich liess sie zudem ihren Hormonspiegel bestimmen, mit Speichel- und Urintests. Die Ergebnisse zeigten niedrige Werte von Serotonin, Dopamin und Progesteron – also genau den Hormonen, die für Lebensfreude und Energie sorgen. «Das war ein Augenöffner und eine Erleichterung: Endlich habe ich messbare Werte, quasi schwarz auf weiss, die mein Befinden erklären.» Eine Progesteroncreme soll nun helfen, die Hormone auszubalancieren.
Mit mehr Selbstfürsorge auf gutem Weg
«Ich komme meinem Zyklus immer besser auf die Schliche und bin auf einem guten Weg», meint Jacqueline heute. In schwierigen Zyklusphasen setzt sie auf Wohlfühlrituale: Kerzenlicht, Raumdüfte, eine Wärmflasche und eine Decke um den Bauch und ein gutes Buch im Lesesessel. «Ich versuche, auf meinen Körper zu hören mir Pausen zu gönnen. Manchmal sage ich Termine ab, wenn sie nicht dringlich sind, oder plane sie so, dass sie nicht in die heikle Phase fallen.»
Zur Selbstfürsorge setzt Jacqueline auf Spaziergänge in der Natur und gelegentlich auf eine Yogasequenz am Morgen. Seit sie vor einem halben Jahr mit Krafttraining begonnen hat, fühlt sie sich körperlich stärker und selbstbewusster und achtet durch den Sport auch mehr auf eine ausgewogene Ernährung.
«Was hilft, ist sicher individuell und nicht für jede Frau gleich. Aber der Austausch, zum Beispiel mit Freundinnen, macht vieles leichter. Es tut gut zu wissen, dass man mit seinen Fragen nicht allein ist – und wir können voneinander lernen. Generell finde ich es wichtig, dass Frauengesundheitsthemen wie Menstruation oder Wechseljahre in der Gesellschaft enttabuisiert werden. Mit unserer Tochter spreche ich frei über den Zyklus – so erleichtere ich ihr den Zugang und schaffe hoffentlich eine Basis für mehr Offenheit in der nächsten Generation.»
